Obwohl bekannt ist, dass Morphin in kleineren Dosen auf das Atemzentrum beruhigend bezw. lähmend wirkt, so scheint die Frage doch noch nicht geklärt zu sein, wie seine tetanisierende Wirkung, die bei Tieren verhältnismässig stark ausgeprägt ist, die Atmung beeinflusst, ob die Wiederherstellung der Atmung bei weiterer Vergiftung auf der Reizung der im Blute sich anhäufenden CO(2) oder der primären Wirkung des Giftes beruht, und welches die Haupttodesursache bei Morphinvergiftung ist, die Atemlähmung oder der Krampf. Diese Versuche sollen zur Lösung dieses Problemes beitragen. 1. Morphin wirkt am Kaninchen in Dosen bis zu 20 mg (pro kg Körpergewicht) auf die Atmung progressiv schwächend, wobei die Frequenz stärker abnimmt als das Volumen pro Minute (I. Atmungshemmende Stadium). Aber bei weiterer Steigerung der Dosis auf 40-80 mg lässt diese Wirkung nach, wobei die Frequenz sich früher wiederherstellt als das Volumen (2. Kompensationsstadium), bei über 160 mg steigt zuletzt die Atmung über den Normalwert (3. Atmungsbefördernde Stadium), und nach über 200 mg geht das Tier unter Krämpfen zugrunde. Es gibt also eine optimale afmungshemmende Dosis. 2. Bei der Wirkung von 20 mg Morphin ist die Erregbarkeit des Atemzentrums gegen CO(2)-Einatmung von physiologisch reizenden Konzentrationen (5-10%) ganz herabgesetzt, und beim Aufhören der Inhalation von 10% CO(2) tritt eine vorübergehende Atemsteigerung, “Entgiftungserregung” auf, welche normaler Weise erst nach einer zu hohen CO(2)-Konzentration (über 25%) gesehen wird. Bei noch höheren CO(2)-Konzentrationen reagiert das Atemzentrum dagegen heftiger, die Entgiftungserregung darnach ist auch in ausgesprochener Weise stärker ausgeprägt als beim normalen Tiere und das Tier stirbt nach kleineren CO(2)-Konzentrationen durch Entgiftungserregung unter Krämpfen. Bei der Einwirkung von höheren Morphindosen (80-100 mg) reagiert das Atemzentrum gegen 5-10% CO(2) wieder lebhaft. Nach dem Aufhören der Inhalation von 10% CO(2) tritt keine Entgiftungserregung auf. Die Entgiftungserregung nach noch höheren CO(2)-Konzentrationen ist aber stärker als bei der vorigen Morphindosis, wobei das Tier schon nach kleineren CO(2)-Konzentrationen unter Krämpfen zugrunde geht. 3. Das Verhältnis zwischen Frequenz und Volumen bei der Atmung ist nach höheren Morphindosen verschieden von dem, das bei der CO(2)-Einatmung bei gleicher Versuchsanordnung konstatiert wird. 4. Die Reaktionsfähigkeit des Atemzentrums auf das atmungserregende Gift, Lobelin, ist auch bei höheren Morphindosen grösser als bei kleineren, optimal atemhemmenden. 5. Die Kombination von Atropinschwefelsäure, die auf das Atemzentrum erregend und zugleich krampferregend wirkt, mit höheren Dosen Morphin verstärkt die schädigende Wirkung des letzteren und vermindert die Dosis letalis desselben. 6. Wird Luminalnatrium 10 Minuten nach der Verabreichung von Morphin dem Kaninchen intravenös eingeführt, so beschleunigt es die Atemlähmung nach 20 mg Morphin, während es am Kaninchen und ebenso an der Maus gegen die schädigende Wirkung der höheren Morphindosen antagonistisch wirkt und die letale Dosis des Morphins vergrössert. Natürlich ist aber auf einen präventiven Erfolg des Luminals nicht zu hoffen, denn eine lähmende Morphinwirkung auf die Atmung (1. Stadium) geht immer einer erregenden voraus. Aus diesen Tatsachen ergibt sich, dass im 2. Stadium der Kompensation die Erregbarkeit des Atemzentrums wieder erhöht wird, mehr als im 1. atmungshemmenden Stadium; die Wiederherstellung der Atmung in diesem Wirkungsstadium scheint nicht auf der CO(2)-Anhaufung im Blut zu beruhen, sondern ist zum grösseren Teil auf eine primäre, im 1. Stadium latent bleibende, fördernde Wirkung auf das Atemzentrum zurückznführen. Diese Wirkung entwickelt sich bei Steigerung der Dosis oder beim Fortschreiten des Vergiftungsverlaufes immer stärker und tritt zuletzt in den Vordergrund. Ferner wächst die tetanisierende Wirkung auch mit der Dosis und bei der Zusammenwirkung mit einem anderen Moment, wie Entgiftungserregung nach hoher Konzentration CO(2) oder Atropinschwefelsaure, führt sie zu einem tödlichen Krampf. Aus dieser Überlegung und aus dem Resultate der Kombinationen mit Atropinschwefelsäure sowie Luminal wird ohne weiteres gefolgert. dass die Haupttodesursache durch Morphin bei diesen Tieren nicht die Atemlähmung, sondern seine Krampfwirkung ist. Dementsprechend sind die dabei auftretenden Krämpfe nicht eine sekundäre Erscheinung, Erstickungskrampf, sondern eine primäre Wirkung des Giftes.